Unser Poet Dr. Manfred Lieser ist tot und die Welt ist um einen Satiriker, Lyriker und leidenschaftlichen Ornithologen, und um einen bescheidenen Menschen ärmer geworden.

WIR TRAUERN UM IHN !

 

Was er selbst über sich schrieb: 

geboren 1962 bei Wittlich in der Eifel, war ein eher dickes Kind, das sich vor den Menschen fürchtete, am liebsten Bonanza und Grzimek schaute, Vogelnistkästen bastelte, viel las und als einziges aus der großen Verwandtschaft eine Art Akademikerlaufbahn einschlug. Diese brachte ihm nach dem Studium in Freiburg beinahe den Beruf des Försters ein. Immerhin hat es zum Gelegenheitsholzfäller und Vogelkundler gereicht. Titel und Würde eines Dr. rer. nat. waren ihm bei den zahlreichen Wohnungssuchen in Einzelfällen von Nutzen. Mitunter übersetzt er russische Lyrik, schießt Rehe und Wildschweine und genießt auf hölzernen Gartenbänken bei einem Glas Most den Sonnenuntergang. Er verehrt Puschkin, Heine, Laurel & Hardy und Loriot. Seine Lieblingstonart ist g-Moll. 

Die Künstler

 

Meistens leben sie bescheiden und sehr häufig auch allein.

Alle großen Künstler leiden – aber nicht am Künstlersein.

 

Ihre seelischen Beschwerden, kombiniert mit Phantasie,

ließen sie zum Künstler werden, umgekehrt war es noch nie.

 

Nehmen wir die Pianisten: Reich durch stürmischen Applaus,

müssen sie ihr Dasein fristen wie besagte Kirchenmaus.

 

Schreiber, Maler oder Barden, denen es nicht besser geht,

hausen meistens in Mansarden wie bei Spitzweg der Poet.

 

Und die kläglichen Gesellen, tief bedrückt durch ihr Geschick,

fallen später in Duellen oder geben sich den Strick.

 

Brotlos ist das Künstlerleben, längst nicht immer gibt es Ruhm,

und auch diesen wird es geben  für den Künstler erst posthum.

 

Warum also Kunst beginnen, wenn man selbst nichts davon hat..?

Übrigens: Auch Künstlerinnen stellt sich diese Frage glatt.

 

11.2.2008


Kleines Frühlingslied

 

Während seine Lieder schallen, 

lässt der Fink im Fliederstrauch kleine, weiße Bällchen fallen 

auf die welkenden Narzissen. 

Und wie die fühl ich mich auch irgendwie beschissen.


Dunstiger Abend im März. Zackige Hegau-Vulkane.

Lerchen und bunte Fasane brechen mir beinah das Herz.

 

Das Herz würden sie mir wohl brechen in diesem wonnigen Flair,

wenn‘s wie das Eis auf den Bächen nicht schon gebrochen wär. 


Die selbstlose Eule

 

Es war mal eine Eule, die hieß mit Namen John,

saß starr auf einer Säule und sagte keinen Ton.

 

Da wurde sie gebeten von ihrer Nachbarschaft,

zum Tausch sich anzubieten für deren Sohn in Haft.

 

Die Eule reagierte, stieg ab von ihrem Thron

und jener Inhaftierte kam frei gegen Kauz John.


Die Wegwarte

 

Sehr dezent und doch galant, lieblich anzuschauen,

leuchtet ihr am Straßenrand, meine Himmelblauen.

Sagt, was flüstert ihr mir zu an den heißen Tagen?

Geht es um ein Rendezvous, sind es stille Klagen?

 

Tag für Tag steht ihr bereit, abgedrängt in Lücken,

in des Morgens Heiterkeit mir den Weg zu schmücken.

Flur und Straße, die geteert, mindern eure Räume,

dennoch träumt ihr unbeschwert eure kurzen Träume.

 

Nimmt euch in der Sommerlust niemand auch zur Kenntnis,

ich bin euer mir bewußt, hab für euch Verständnis.

Eines bleibt ein Phänomen, ihr erlaubt die Frage:

Warum leuchtet ihr so schön nur am Vormittage?

 

Morgenfrisch und elegant, lieblich anzuschauen,

grüßt ihr mich am Wegesrand, meine Himmelblauen.

Was verkündet euer Blühen an den heißen Tagen?

Sind es Liebesmelodien, sind es Todesklagen..?

 

Manfred Lieser 18.7.2002


Herbstabend

Zur Herbstzeit liegt im abendlichen Schein
ein heimliches und liebliches Entzücken:
in unheilvollem Glanz der bunte Hain,
Geräusch der Blätter, die sich purpurn schmücken,
vernebeltes und stilles Himmelsblau
blickt auf die trauervolle Erde nieder,
und, wie ein Vorgefühl von nahem Sturm und Grau,
bläst kalter Wind in Böen hin und wieder,
Verlust, Erschöpfung – auf dem ganzen Land
das kurze Lächeln des Verwelkens und des Scheidens,
das wir bei Wesen der Vernunft benannt
als göttliche Schamhaftigkeit des Leidens.

     Nachdichtung aus dem Russischen von Fjodor Tjutschew (1830)

                                                                               © Manfred Lieser